„Wir wissen, wie es ist, irgendwo neu zu sein“

Sie kamen als Gastarbeiter, entwickelten eine Gemeinschaft und gründeten einen Verein: Am Samstag nun feiert das „Portugiesische Freizeitzentrum“ an der Stoverner Straße seinen 50. Geburtstag.

„Wir wissen, wie es ist, irgendwo neu zu sein“, sagt Tiago Guimarães, um seinen Satz mit einer besondern Feststellung zu beenden: „Wir wissen auch wie es ist, wenn man neu war und jetzt dazugehört.“ Am Samstag feiert die „Associação Portuguessa de Rheine“ (AP Rheine) – offiziell und in Deutsch trägt er den Namen „Portugiesisches Freizeitzentrum“ – den 50. Geburtstag. Tiago Guimarães ist der aktuelle Vorsitzende.

Am 13. Mai 1967 hat den Verein eine Gruppe von Männern gegründet, die als Gastarbeiter nach Rheine gekommen waren, um in den Textilfabriken C. Kümpers und Söhne und F.A. Kümpers ihr Geld zu verdienen. Bis heute ist AP Rheine für die Portugiesen in der Stadt so eine Art Heimat in der neuen Heimat, und vielleicht ist es gerade den in den fünf Jahrzehnten stets sehr umtriebigen Vereinsverantwortlichen zu verdanken, dass die Portugiesen hier als besonders gut integriert und akzeptiert gelten.

Kann sein, dass Guimarães quasi eine Art Prototyp der Portugiesen in Rheine ist. Sein Großvater kam als Textilarbeiter an die Ems, die Familie blieb und Enkel Tiago kam zwar in Portugal zur Welt, kennt sich aber in Rheine aus wie in seiner Westentasche. Kurzum: Die Portugiesen sind in Rheine angekommen, haben aber selbst nach 50 Jahren ihre Wurzeln nicht vergessen, und mit ihrem Freizeitzentrum sind sie stets Heimstatt und Anlaufpunkt für alle, die ein bisschen soziale Wärme tanken wollen.

Schon 1964 kamen die ersten Portugiesen hierher, kurz nachdem die Bundesrepublik Deutschland mit Portugal die sogenannten Anwerbeverträge unterschrieben hatte. In Portugal herrschte noch die Salazar-Diktatur und der Kolonialkrieg (Angola, Guinea-Bissau, Mozambik) zehrte das Land aus. Um der Armut zu entkommen, suchten viele Portugiesen im Ausland nach einer Perspektive. Da in Nordportugal Textilbetriebe angesiedelt waren, hatten manche Gastarbeiter, die nach Rheine kamen, bereits Fachkenntnisse, beispielsweise in der Weberei, was hier höchst willkommen war.

Einsam und ziellos

Um die Arbeiter unterzubringen wurden Heime eingerichtet. Die Männer-Unterkunft der Firma C. Kümpers und Söhne war an der Osnabrücker Straße (Heute K & K-Supermarkt), jene von FAK an der Basilikastraße unweit des Stadtparks. Die Männer lebten auf engem Raum, waren unter der Woche gut beschäftigt, doch an den Wochenenden hatten sie viel Zeit, fühlten sich fern ihrer Familien einsam und zogen ziellos durch die Stadt.

Irgendwann kam der Gedanke auf, gemeinsam Fußball zu spielen und mit dem Nachzug der ersten Familien in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre bildete sich langsam aber sicher eine portugiesische Gemeinschaft, fasst Nelson Rodrigues, Migrationssoziologe und Mitglied des Vereins, zusammen. Die Gründung eines Vereins war die konsequente Folge. Die erste Sitzung fand übrigens in einem Bulli vor dem Arbeiterheim an der Basilikastraße statt. Der VW-Bus war zugleich Transportmittel und Umkleide, wenn die Portu-Kicker zu Auswärtsspielen fahren mussten.

In der seither geltenden Satzung heißt es: „Das Portugiesische Freizeitzentrum hat zum Ziel, die Einheit aller Portugiesen in Rheine zu fördern durch portugiesische Kultur, Kunst, Unterhaltung und durch Sport. Der deutschen Bevölkerung sollen diese Werte näher gebracht werden, um ein gutes Zusammenleben zu fördern.“

Längst hat der Verein nicht mehr „nur“ portugiesische und deutsche Mitglieder. „Zu uns gehören auch Türken, Italiener, Spanier und Tunesier“, sagt der Vorsitzende mit einem Quäntchen Stolz in der Stimme. Das Freizeitzentrum ist eine Art Schmelztiegel zugewanderter Familien, die in Rheine Anschluss suchen. „Dieses Angebot ist exemplarisch für Integration und kostet die Stadt keinen Pfennig. Alle arbeiten ehrenamtlich“, betont Rodrigues.

Die ersten eigenen Räumlichkeiten des Vereins waren an der Basilikastraße 90. Ein Glücksgriff war der Kauf des einstigen Gasthauses „Zur Schleupe“ an der Stoverner Straße 47 Ende der 1990er-Jahre. Zwar waren die Nachbarn anfangs nicht begeistert, zumal sie ja nicht wussten, welches Temperament und welche Lautstärke sie sich mit dem Vereinsheim einhandeln. Aber das ist längst Geschichte. Es gibt regelmäßig Nachbarschaftsfeste, der Schützenverein Schleupe nutzt den angrenzenden Portu-Sportplatz, um dort sein Schützenfestzelt aufzustellen.

Bürger- und Integrationspreis

Im Jugendbereich koopieren AP Rheine und der Skiclub Nordwest. Besondere Wertschätzung erfuhr das Portugiesische Freizeitzentrum im Jahre 2007 mit der Auszeichnung des Bürgerpreises der Stadt Rheine und 2008 bekam der Verein den Integrationspreis des Kreises Steinfurt für eine gelungene Integration von Zuwanderern mit Sport.

Beim Vorsitzenden Tiago Guimarães liegt die Vereinsverantwortung im Jubiläumsjahr in der Hand eines Zugewanderten der dritten Generation, der gerade einmal 29 Jahre alt ist. Der hat doch keine Ahnung, welche Sorgen die Großeltern und Eltern hatten, mag man denken. Was ist also das Erfolgsrezept, denn offensichtlich funktioniert das Vereinsleben all die Jahre wie im Bilderbuch. „Nicht immer“, schmunzelt Guimaraes, „aber man muss sagen, wenn Einem etwas nicht passt. Nur dann kann es sich gemeinsam zum Positiven ändern.“

„Energie für draußen tanken“

Logischerweise sieht Begegnung anno 2017 anders aus als anno dazumal. Bei Fußball-Europa- oder Weltmeisterschaften bevölkern alle Generationen das Vereinsheim. An Halloween oder beim Oktoberfest, oder dem typisch portugiesischen Nelkenfest (am 25. April in Erinnerung an die Revolution gegen die Diktatur im Jahre 1974) oder dem Kastanienfest im November geht‘s international zu und doch irgendwie mit portugiesischem Flair. „In unserem Vereinsheim ticken die Uhren anders. Hier muss man nicht perfekt funktionieren, darf sich ein Stückchen freier fühlen und so Energie für draußen tanken“, behauptet der Vorsitzende.

Am Samstag wird nach Kräften gefeiert. Bürgermeister Peter Lüttmann ist beim Festakt im Vereinsheim mit von der Partie. Der portugiesisch-deutsche Chor Alegria wird zu hören sein, und wie könnte es anders ein: Portugiesische Spezialitäten erfrischen Leib und Seele.

Kleine Notiz am Rande: Ganz bestimmt hätten sich die Altvorderen damals bei der Wahl des Gründungstermin ausgerechnet am 13. Mai etwas gedacht, vermutet der Vorstand heute. Genau vor hundert Jahren, am 13. Mai 1917 ist in Fatima die Mutter Gottes drei Hirtenkindern erschienen und an diesem Wochenende ist Papst Franziskus zum 100. Jahrestag im Wallfahrtsort zu Gast.

[mv-online, Autor: Elisabeth Willers]

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